Berufliche Veränderungen oder auch dreimalfünf Teil Eins



Ich habe die letzten fünf Jahre als Psychologin, Hellseherin, Lexikon, Politikerin, Doktormutter, Erzieherin, Stilberaterin (und Stillberaterin) und manchmal auch als Frustabladeplatz, kurz: Verkauf und Beratung im Textilfachhandel gearbeitet. In diesen fünf Jahren habe ich im Dienst wahrscheinlich mehr Kilometer zugeschnitten, als ich in den ersten fünf Jahren meines Lebens gelaufen bin, definitiv weitaus mehr geredet und mich häufiger schreiend auf dem Boden gewälzt. Fünf Jahre ist eine lange Zeit, so lange habe ich studiert und da stellt sich die Frage, ob ich so lange im Stoffladen gearbeitet habe, weil ich studieren wollte oder ob ich so lange studiert habe, weil ich im Stoffladen arbeiten wollte?

Zumindest habe ich jetzt fertig studiert und auch fertig im Stoffladen gearbeitet finde ich. Und weil ich ein bisschen zufrieden und ein bisschen traurig bin, werde ich heute endlich die Top 5 der Dinge, die ich (zum Glück) nicht mehr hören werde und deshalb morgen auch 5 der allerbesten Momente im Laden veröffentlichen (ohne verklagt zu werden). Also sollte sich jemand in einer der zwei fünfen wiedererkennen, hat derjenige mich entweder stark angestrengt oder mir gute Smalltalkanekdoten beschert.

Fünf Dinge, die ich nicht mehr hören werde (und überhaupt nicht traurig darum bin)

5.) „Haben sie keine Kordel oder bin ich zu doof die zu finden? “
Was ich gesagt habe: „Die Kordeln sind da hinten im Bänderregal, zweite Reihe am Fenster.“
Was ich gerne gesagt hätte: „Möchtest du eine ehrliche oder eine höfliche Antwort?“

4.) „Können Sie mir helfen? / Kennen Sie sich damit aus…?“
Was ich gesagt habe: „Natürlich! Schieß los!“
Was ich gerne gesagt hätte: „Nö, eigentlich steh ich hier nur so hinter der Kasse rum. Ich weiß auch gar nicht, was ich hier mache, eigentlich sortiere ich im Supermarkt gegenüber Ware in die Regale, aber heute hospitiere ich mal hier!“

3.) „Hier ein schlecht beleuchtetes Foto, der Wohnzimmertapete meiner Nachbarin. Denk dir mal den Gelbstich weg, sie hat das gestern Abend gemacht. Welcher Stoff passt zu der Tapete? Sie will sich Gardinen nähen. Sie hat so Altbaufenster, die so hoch sind, wie wenn ihr Mann die Arme hochmacht und dann noch so ein kleines Stück höher!“
Was ich gesagt habe: „Möchte sie einfarbige oder welche mit Muster?“
Was ich gerne gesagt hätte: „Na klaro, kein Problem Mensch. Wie ich auf dem 8bit Foto deines Handys erkennen kann, passt zu dieser Tapete folgender Stoff. Und zufällig weiß ich, dass der Mann deiner Nachbarin 1,86 hoch ist, folglich sind ihre Fenster 2m hoch. Easy!“

2.) „Haben sie Samt?“
„Nein, leider nicht“
„Gar nicht?“
Was ich gesagt habe: „Nein, gar nicht. Versprochen.“
Was ich gerne gesagt hätte: „Also wenn du jetzt so fragst, eigentlich haben wir doch Samt. Ich hatte nur heute keine Lust den zu verkaufen. Aber weil du jetzt so genau nachgefragt hast, ausnahmsweise. Aber nur wenn du mir das Passwort für den Samt nennen kannst?“

1.) „Ich will ein Kleid/Rock/Hose/Pullover nähen, wie viel Stoff brauche ich?“
Was ich gesagt habe: „Du, das kann ich dir gar nicht so pauschal sagen, das kommt auf unterschiedliche Faktoren an: Stoffart, Stoffbreite, Größe des Kleidungsstücks, Schnittmuster etc. Und nein es hilft mir jetzt nicht, wenn du mir sagst wie alt dein Kind ist, für das du nähen möchtest!“
Was ich gerne gesagt hätte: „Gehst du auch in den Supermarkt und sagst: ‚Ich will was kochen, was brauch ich?“

Zusatztop
1A.) „Hallo, ich hab hier ein Foto der Tasche, wie viel Stoff brauch ich dafür?“
Was ich gesagt habe: “Woher soll ich das wissen? Ich kenne die einzelnen Schnittteile der Tasche doch nicht und weiß anhand eines Fotos nicht wie groß die ist. Du gehst doch auch nicht mit einem Foto zum Arzt und fragst: ‚Was hat der Patient?’“
Was ich gerne gesagt hätte: “Woher soll ich das wissen? Ich kenne die einzelnen Schnittteile der Tasche doch nicht und weiß anhand eines Fotos nicht wie groß die ist. Du gehst doch auch nicht mit einem Foto zum Arzt und fragst:‚Was hat der Patient?’“ (Sorry an dieser Stelle an den Kunden, ich hatte einen äußerst dünnhäutigen Tag)


9 Antworten zu “Berufliche Veränderungen oder auch dreimalfünf Teil Eins”

  1. Manche Leute reden einfach, ohne nachzudenken … da kommen dann schon echt dämliche Aussagen zusammen.
    Aber: Das Problem mit "Wieviel Stoff brauche ich?" verstehe ich nicht! Meiner Ansicht nach gehört es zu den grundlegenen Aufgaben eines Verkäufers im Stoffladen, dem Kunden sagen zu können, wieviel Stoff er für ein bestimmtes Teil braucht, sei es ein Kleidungsstück oder eine Tasche. Natürlich kann man das nicht für ausnahmslos jedes Teil durch bloßes Angucken bestimmen, aber es gibt einfach Standardmengen, die man angeben kann (für ein normales Kleid, Hose, T-Shirt …). Ebenso sollte man wissen, welcher Stoff wofür geeignet ist. Genau die Leute, die da nach Beratung fragen, sind doch eher die, die KEINE superexotischen Dinge nähen wollen, denn die wissen schon Bescheid. Ich bin erfahrene Käuferin im Stoffladen 😉 und kriege solche Anfragen auch häufiger mit, wenn ich wartenderweise neben dem Zuschneidetisch stehe – die Verkäuferinnen bei uns können da auch gut beraten, könnte ich persönlich auch. Nach vielen Jahren des Nähens hat man da doch Erfahrungswerte, wenn man vielseitig näht?
    Wie gesagt: Das gilt sicher nicht für ausnahmslos jedes Teil, ich könnt auch nicht aus dem Kopf sagen, wieviel Meter man für einen Sari nimmt. Aber zur Not kann man doch bei nem Schnittmuster nachgucken.

    • Hallo Nria.
      Sicher kann ich bestimmte Ausk�nfte geben, aber daf�r brauche ich auch bestimmte Informationen, schlie�lich will ich dem Kunden weder zu viel noch zu wenig verkaufen. Wenn mich jemand allein mit dem Satz "ich will ein Kleid n�hen, wie viel Stoff brauch ich?" anspringt, dann kann ich diese Frage erstmal nicht beantworten und das ist halt der Irrglaube. Es m�ssen erstmal Dinge gekl�rt werden wie: Kinderkleid oder f�r Erwachsene? Wie lang? lange, kurze oder gar keine �rmel? weites oder enges Kleid? Kapuze? Elastisch oder nicht? Und ganz wichtig: welcher Stoff? Wenn ein Stoff n�mlich nur 1,10m breit ist, dann kann man schonmal 3,5-5m in so ein Kleid versenken. Soll es aber nur ein kurzes Jerseykleid f�r eine vierj�hrige sein, reichen 50-60cm Jersey. Und das meine ich mit:"Das kann ich gar nicht so pauschal sagen!"
      Liebe Gr��e, Ann-Sophie

  2. Noch ein Nachtrag, weils mir grad aufgefallen ist:
    "Was ich gerne gesagt hätte: „Gehst du auch in den Supermarkt und sagst: ‚Ich will was kochen, was brauch ich?“"
    Entschuldige bitte, der Vergleich ist falsch. Es müsste sein: "Gehst du auch einen Baumarkt und fragst: ‚Ich will einen Schrank bauen, was brauch ich?’" Und die Antwort ist JA! Genau dafür ist der Verkäufer da!
    Der Supermarkt ist nicht für Beratung da, Fachgeschäfte schon. Dass die Leute nicht ganz exakt und bequem die Vorlage liefern, ist nur natürlich, denn das sind ja i.d.R. Leute, die noch nicht so viel Ahnung haben. Dann fragt man eben nach, wie groß die Tasche ist, welche Größe das Kleidungsstück haben soll und was für ein Material.

    • Sollten sie wirklich alles wissen die allwissenden Stoff Verkäuferinen? Nein es reicht nicht zu wissen das man bei einem Shirt so und so viel braucht denn jeder Schnitt ist anders … ich sag nur Raglan.
      Klar ich könnte sagen 3m. Ist ja auch ne Antwort und reicht sicher.
      Aber ich freue mich das du all das kannst. 😉
      Ich arbe

      • So siehts leider aus. Das ist sowieso gar nicht verkehrt… Sollte ich nochmal in das Vergn�gen kommen, verkaufe ich einfach immer 3m f�r alles 😀
        Danke liebe Pigugi.
        Liebe Gr��e, Ann-Sophie

  3. Liebe Ann-Sophie,
    danke für diesen Post!!!
    Liebe Nria,
    es ist wirklich absoluter Irrglaube, wenn man denkt, man könnte pauschale Angaben zu dem Verbrauch eines Kleidungsstückes geben. Ich arbeite auch in einem Stoffladen und kenne das Problem von Ann-Sophie sehr gut. Ich habe keine Probleme damit Anfängerinnen den Einstieg zu erleichtern und berate gerade Neulinge unglaublich gerne. Und natürlich hangelt man sich über ein bestehendes Schnittmuster zum Verbrauch, erklärt was geht und was nicht und welches Material in Frage kommt. Dafür bin ich da und es erfreut mich immer wieder, wenn gerade Anfänger mit ihrem neuen Kleidungsstück vorbei kommen und sich für die Beratung bedanken.
    Wenn aber jemand einen bestimmten Schnitt zu Hause hat und sei es nur eine A-Linie, möchte dafür einkaufen, hat sich vorher nichts durchgelesen und sich überhaupt nicht damit befasst,zeigt mir dann sein ständig ausgehendes Smartphone mit einem kruscheligen Foto,ist meine Geduld auch am Ende.
    Fotos helfen einfach nicht in der Einschätzung einer Saumbreite und bei einer Stoffbreite von 1,10cm kann es um 1-2cm gehen, die dazu führen das der Saum nicht nebeneinander zuzuschneiden ist und es zur Folge hat, dass man anstelle von 2m tatsächliche 4,5m braucht.
    Ich würde mir daher wünschen, dass alle Unvorbereiteten, nach den vielen Berechnungen und Schätzungen unsererseits, nicht mit einer Reklamation und großem Touwabou zurück in den Laden rennen und uns die Schuld für die fehlenden Zentimeter geben.

  4. Ooooh lala! Jawohl dergleichen ist mir auch schon diverse Male passiert. 😀 Allerdings beim Nebenjob in einem Korbwarengeschäft. "Passt dieser Picknickkorb für meine Thermoskanne" 😀
    Sehr gut getroffen! Danke für die 10 Minuten Flashback!

    • Der ist gut 😀
      Und was hast du gesagt? Nee geht gar nicht, sie sollten mehrere Picknickkörbe kaufen, einen für jedes Outfit?

      Liebe Grüße,
      Ann-Sophie

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