Heute bin ich wütend


Heute bin ich wütend. Ich bin aufgewacht und war wütend. Ich habe mich nicht dafür entschieden wütend zu sein, ich kann da gar nichts für, die anderen können etwas dafür. Die Welt kann etwas dafür.
Ich bin wütend. Ich bin wütend auf Ursula. Ursula erzieht ihren Lasse-Friedrich antiautoritär. Deswegen darf Lasse-Friedrich im Supermarkt den Einkaufswagen in die Hacken der vor ihnen stehenden älteren Dame fahren. Lasse-Friedrich ist schon genug mit seinem Namen gestraft, findet Ursula, deswegen darf man ihn nicht zurechtweisen. Lasse-Friedrich wird mit seinen zweieinhalb Jahren schon wissen, was falsch und was richtig ist, deswegen bekommt Lasse-Friedrich einen Vollkornkeks, statt einem „Lass das“. Lasse-Friedrich darf auch schreien, weil ihm der Vollkornkeks nicht reicht. Weil Lasse-Friedrich möchte ein Ü-Ei für Mädchen. Das ist rosa und steht auf der Augenhöhe von zweieinhalbjährigen im Regal. Deswegen bekommt Lasse-Friedrich das Ü-Ei aber nicht. Das geht nämlich zu weit. Es müssen doch mal Grenzen gesetzt werden. Das Ü-Ei ist für Mädchen, es ist ja Rosa das Ü-Ei. Und es enthält Zucker. Das müssen zweijeinhalbjährige nämlich lernen. Rosa ist für Mädchen. Aber weil Lasse-Friedrich sich auf den Boden wirft und noch mehr schreit, verspricht Ursula ihm ein Eis. Gleich nach dem Supermarkt gibt es eine Eisdiele. Aber nicht Erdbeere. Erdbeereis ist Rosa. Schlumpfeis gibt es. Das ist blau. Und Lasse-Friedrich ist zufrieden.
Das macht mich wütend. Lasse-Friedrich bekommt ein Eis. In Blau.


Die Angst des besorgten Volkes vor Werbisierung des Briefkastens. Hier ist kein Platz für italienische Pizzawerbung oder griechische Gyroswerbung oder arabische Falafelwerbung. Der Briefkasten ist voll! 

Die Angst des besorgten Volkes vor Werbisierung des Briefkastens. Hier ist kein Platz für italienische Pizzawerbung oder griechische Gyroswerbung oder arabische Falafelwerbung. Der Briefkasten ist voll! 

Ich bin wütend. Ich bin wütend auf Else. Else hatte einen Einkaufswagen in der Hacke. Mehrmals. Den gleichen Einkaufswagen in der gleichen Hacke. Aber Else hat nur den Kopf geschüttelt. Wie eine Kettenreaktion. Einkaufswagen in die Hacke, Kopfschütteln. Einkaufswagen in die Hacke, Kopfschütteln. Minimal Elektro. Lautlos. Empörungsmusik. Else sagt zu Heiner, Lasse-Friedrich gehöre mal ordentlich geprügelt. Aber Heiner hört nicht zu, Heiner achtet peinlich genau darauf, der Familie vor ihm nicht zu zeigen, dass er ein Portemonaie bei sich hat. Da ist Geld drin, in dem Portemonaie. Nicht viel, weil Heiner hat eine kleine Rente, aber das Geld hat er sich ehrlich erarbeitet findet Heiner. Und die Leute sind nicht von hier. Und die klauen ja auch alles, die Leute. Hat Heiner gehört, beim Bäcker morgens, sagt er zu Else. Und die nickt, zum ersten Mal heute, sehe ich sie nicken. Die gehören auch geprügelt sagt Else  zu Heiner. Und ich bin wütend. Wütend auf Heiner, der seinen Gartenzaun höher ziehen wird, damit sein Gartenzwerg nicht geklaut wird, denn die klauen ja auch alles die Leute. So hoch wird er ihn ziehen, den Gartenzaun, dass er selber nicht mehr drübergucken kann. Aber das kann man sich ja auch nicht angucken, was da passiert in der Welt, das hätte es früher nicht gegeben. Und Else nickt. Das macht mich wütend. Auf Else. Die nichts laut sagt, nur den Kopf schüttelt. Und im falschen Moment nickt.

Ich bin wütend. Ich bin wütend auf mich. Denn auch ich sage nichts. Ich möchte mich nur dazulegen, zu Lasse-Friedrich, und ein bisschen schreien, aber dafür bekomme ich auch kein Eis. Und ich möchte ihm ein rosa Ü-Ei in seinen Mund stopfen, damit er Ruhe gibt, denn er hat ja bekommen was er will. Und ich möchte Ursula dazustopfen, aber die ist ja schon genug gestraft mit ihrer antiautoritären Erziehung, finde ich. Und dann möchte ich Heiners Gartenzwerg klauen, mich mit ihm in den Einkaufswagen setzen und mit Anlauf in Heiners Hacken fahren. In Elses nicht, die hat ja schon ihren Mann, damit ist sie ja schon genug gestraft, findet der Gartenzwerg. Ich nicht.

Aber das tu‘ ich nicht. Ich bezahle mein Schweigen an der Kasse mit Wut im Bauch, packe es in meinen mitgebrachten Jutebeutel und nehme es mit nach Hause.


12 Antworten zu “Heute bin ich wütend”

    • Das einzige was der Mensch aus der Geschichte lernt, ist, dass der Mensch nicht aus der Geschichte lernt…. oder so…

      Ich glaube und hoffe, dass es genug Menschen gibt, die sich noch erinnern oder sich eingehend und empathisch mit der Vergangenheit beschäftigt haben.

  1. So seh ich Deutschland, immer und immer wieder. Vorallem wenn Pegida und Co. gegen Unschuldige hetzen und Unnötiges verdrehen und erfinden. Dann frag ich mich: "Wer sind diese Menschen?!?"
    Aber dann steh ich samstag nachmittag um vier neben ganz vielen bunten Menschen in der Innenstadt und seh der CSD-Parade zu, fahre auf dem Heimweg an einem überdimensional großen "Je suis Charlie" Schriftzug vorbei, stolpere über Plakate zu einer Willkommens-Demo für Flüchtlinge.
    Und das macht mir Mut und entschädigt mich in meiner sehr offenherzigen Stadt für all die kleinbürgerlichen Denkschranken und Stammtischgespräche die mir immer wieder begegenen.

    Es grüßt ein nachfühlender Geist
    Anita

    • Liebe Anita.

      Ich glaube auch ganz fest, dass im Endeffekt die vielen positiven Beispiele das längst überholte Denken negieren und in gar nicht allzu ferner Zukunft ausmerzen. Weil eigentlich will man ja, dass alles friedlich und nett und schön ist und eigentlich will man ja auch in Ruhe leben. Selbst die Krawallmacher und #Aufschrei-Menschen.
      Danke für deinen bereichernden Kommentar.

      Liebe Grüße
      Ann-Sophie

    • Danke Dir!

      Wut kann vieles. Ich versuche sie als Antrieb zu nutzen, das klappt leider nicht immer. Aber lieber so als gar nichts zu empfinden, bei dem Doofkram der leider gerade zu häufig passiert.

  2. Jup, so sieht´s aus. Die Wut kenne ich nur zu gut. Da hilft nur, es anders zu machen und feste daran zu glauben, das "der Mensch" am besten am Vorbild lernt. 😉
    Viele Grüße
    Antje

    • Liebe Antje.

      Ja das stimmt. Das mit dem Glauben. Es passiert gerade so viel, positives wie auch negatives, man weiß gar nicht mehr wo man hingucken soll. Am besten in Richtung Vorbild. Oder in die Sonne.

      Liebe Grüße,
      Ann-Sophie

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